Texte zum begegnungsorientierten Ansatz für die Arbeit mit Menschen mit Demenz.
Kommunikation ist Verhalten: In der Interaktion und Begegnung mit Anderen nehmen wir aufeinander Bezug. Begegnungsorientiertes Arbeiten bedeutet gemeinsame Handlungsspielräume und Mitteilungsebenen auch dort zu erschließen, wo eine sprachliche Verständigung nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr möglich ist.
Es geht weniger darum, die Mitteilungen und Verhaltensäußerungen von Menschen mit Demenz anhand unserer eigenen Interpretationsmuster und Alltagsnormalität einzuordnen, als vielmehr darum das Gemeinsame in der Interaktion mit dem Anderen erfahrbar zu machen.
Verhalten ist Kommunikation: Watzlawacks oft zitiertes Axiom „Man kann nicht nicht kommunizieren“ weist uns darauf hin, dass wir stets etwas von uns mitteilen, auch wenn wir uns dessen selber nicht immer bewusst sind. (Watzlawick 1982, S.53 ).
Unsere Kommunikation mit Menschen mit Demenz mag sich in der Form der im Rahmen der Interaktion und Begegnung zum Ausdruck gebrachten Mitteilungen von den uns selbst vertrauten Verständigungsformen und Mitteilungsweisen in mancherlei Weise unterscheiden. Ihre Grundlage aber ist dem Wesen nach womöglich die gleiche, ihre Basis das Gemeinsame in unserem voneinander verschieden sein.
So geht es in der Kommunikation mit Menschen mit Demenz vielleicht sehr viel weniger, als wir dies noch vor einiger Zeit angenommen haben, darum, in die Wirklichkeit und Wahrnehmungswelt des Anderen „einzutreten“, als vielmehr darum in der situativen Bezugnahme aufeinander selber Wirklichkeit zu schaffen (vgl. hierzu: Feil, 2002).
In der Interaktionstheorie wird nach den Gesetzmäßigkeiten und Regeln gefragt, die der Kommunikation und dem auf einander bezogenen Handeln von Menschen zugrunde liegen.
Menschen mit Demenz, die in ihren individuellen Handlungs- und Mitteilungsweisen von den geltenden kulturell und gesellschaftlich definierten Handlungsmustern, Normen und Regeln für die Interaktion mit anderen abweichen, fallen dabei leicht aus den gängigen Beobachtungsrastern heraus.
Dass unsere Kommunikation kulturell und gesellschaftlich überlieferten Normen und Regeln folgt, auf deren Grundlage ein Verstehen und Mitteilen in der Interaktion basiert, wird uns möglicherweise dazu verleiten, das Vorhandensein anderer, außerhalb der uns selber vertrauten Konventionen liegenden Mitteilungs- und Verständigungsebenen zu übersehen, oder diese als unverständlich oder “inadäquat” zu betrachten.
Dass wir selber uns in der Wahrnehmung und Bewertung von Verhaltensweisen an der eigenen Normalität und an geltenden Handlungsnormen orientieren, mag uns so dazu führen, situative Mitteilungen und Verhaltensäußerungen von Menschen mit Demenz primär unter dem Aspekt ihrer Übereinstimmung oder Abweichung von unseren eigenen zu betrachten.
Die daraus resultierende Fokussierung auf das normativ Regelhafte und „Normale“ in der Analyse von Interaktionen und Mitteilung kann jedoch zu einer Verwechslung von Mittel und Zweck unserer Interaktion mit anderen führen, einer Sichtweise in der interaktive Regeln nicht mehr dazu dienen Kommunikation zu gestalten, sondern unsere Kommunikation dazu, Regeln zu folgen.
Eine solche Perspektive aber verkennt gleichermaßen die grundlegenden Ursachen und Bedürfnisse, auf denen Mitteilungen und Verhaltensäußerungen von Menschen beruhen und damit das grundsätzliche Warum, aus dem wir heraus mit Anderen kommunizieren (vgl hierzu: Kraus, 2019).
In der früheren Pflegekultur und Praxis wurde Kommunikation mitunter als etwas betrachtet, dass die Durchführung pflegerischer “Maßnahmen” begleitet. Übersehen wurde dabei, dass unser situatives Handeln ebenso Teil unserer Kommunikation ist und wir uns dabei in einem handelnden Dialog mit dem Anderen bewegen.
In einer solchermaßen gedachten Trennung von Handeln und Kommunizieren aber lag vielleicht schon ein Ausgangspunkt negativer Interaktionen und situativer Verkennungen in der Arbeit mit Menschen mit Demenz. (vgl. hierzu: Kitwood, 2004).
Die von Watzlawick gestellte Frage nach der „Wirklichkeit der Wirklichkeit„ und der Abhängigkeit der von uns wahrgenommenen und erfahrbaren Realität von der eigenen Sichtweise und Subjektivität mag uns möglicherweise philosophisch abstrakt erscheinen und fernab unserer konkreten Praxis (vgl. hierzu Watzlawick, 2006).
Wir begegnen ihr jedoch bereits dort, wo der Andere in der Interaktion und Begegnung mit uns ein bestimmtes Geschehen anders wahrnimmt und deutet als wir und in Folge dessen vielleicht anders handelt und situativ auf uns reagiert als wir es erwarten.
Mit der Frage nach der Objektivität oder Subjektivität dessen, was wir selbst oder andere für wahr halten und als wirklich empfinden, geht die Fragestellung einher, wie wir selbst damit umgehen wollen, wenn die Wahrnehmungswelt und Deutung unseres Gegenübers von unserer eigenen abweicht und der Andere in der Interaktion und Begegnung etwas anderes erwartet und will als wir selbst.
Aus der Vorstellung einer objektiven, von persönlichen Wahrnehmungs- und Deutungsmustern unabhängigen Realität, lässt sich möglicherweise zugleich auch ein Handlungskonzept ableiten, dass vor allen Dingen auf die Anpassung und die äußere Orientierung von Menschen mit Demenz an unserer eigenen Alltagsnormalität ausgerichtet ist. Und damit auf die Korrektur oder Eindämmung davon abweichender Handlungen und Verhaltensweisen.
Auf der anderen Seite mag uns das Bewusstsein der “Relativität” jeder individuellen Wirklichkeitswahrnehmung zu einer Haltung und Sichtweise verleiten, die sich mit der bloßen Feststellung begnügt, dass jeder Mensch in seiner eigenen Realität lebe.
Dass wir Wirklichkeit auf unterschiedliche Art und Weise wahrnehmen, deuten und erfahren, heißt im Gegenzug jedoch nicht, dass nichts wirklich ist.
In den früheren defizitorientierten Ansätzen wurden die Verhaltensäußerungen von Menschen mit Demenz lange Zeit über vorrangig unter dem Aspekt ihrer Abweichung von den uns selbst vertrauten Verhaltensnormen und Regeln betrachtet, nicht als Ausdruck individueller Mitteilungen und Bedürfnisse (vgl hierzu: Kitwood, 2004).
Es ging weniger darum, in der Interaktion gezeigte Verhaltensweisen und die damit verbundenen situativen Handlungen und Mitteilungen zu verstehen, als vielmehr darum sie anhand eigener normativer Vorstellungen von Normalität zu bewerten.
Ein als problematisch angesehenes und als aggressiv oder störend empfundenes Verhalten wurde nicht im Zusammenhang seines Auftretens innerhalb eines konkreten interaktiven und situativen Kontexts betrachtet, sondern vielmehr als Ausdruck persönlicher und krankheitsbedingter Verhaltensmerkmale verstanden.
Die Frage nach dem möglichen Umgang mit sogenannten herausfordernden Verhaltensweisen von Menschen mit Demenz konnte infolge dessen als eine vorrangig medizinische Problematik betrachtet und auf diese Weise auf die Frage nach der richtigen medikamentösen Einstellung reduziert erscheinen. (vgl. hierzu: Kraus, 2019).
Eine an den kognitiven Verlusten und das eigene normative Verständnis von Normalität orientierte gesellschaftliche Wahrnehmung der Demenz, traf dabei auf eine gleichsam defizitorientierte, an den Fähigkeitsverlusten und daraus resultierenden „Selbstpflegedefiziten“ und nicht etwa an den Lebensgewohnheiten oder individuellen Bedürfnissen von Menschen mit Demenz ausgerichtete Sichtweise.
Vor diesem Hintergrund mag es kaum überraschen, dass sich im Zusammenhang mit der Alltagsbegleitung und Pflege von Menschen mit Demenz eine ihrem Wesen nach bevormundende Pflegekultur herausbildete, die, so scheint es, auch heute noch mancherorts die Abläufe und den Alltag in den Pflegeeinrichtungen prägt.
Im begegnungsorientierten Modell werden Mitteilungen und Verhaltensäußerungen von Menschen mit Demenz im Zusammenhang ihres jeweiligen interaktiven Kontextes betrachtet und als Ausdruck ihnen zugrunde liegender situativer Bedürfnisse verstanden.
Eine ganzheitlich gedachte Sichtweise auf Kommunikation und Verhalten kann uns in unserer Arbeit mit Menschen mit Demenz womöglich helfen, den Zusammenhang zwischen situativen Mitteilungen, Verhaltensäußerungen und den ihnen zugrunde liegenden Bedürfnissen zu erkennen.
Sie birgt gleichzeitig jedoch die Gefahr, uns mit Antworten und Erklärungen auszustatten und zufrieden stellen, wo es möglicherweise wichtiger wäre, weiter Fragen zu stellen.
Wenn wir in diesem Punkt Niklas Luhmann folgen wollen, so hat jede Theorie und die dieser zugrunde liegende begriffliche Struktur immer auch einen „blinden Fleck“ (Luhmann, S. 30).
Während die von uns gefundenen Begriffe dabei auf der einen Seite bestimmte Sachverhalte klären und Zusammenhänge aufzeigen können, lassen sie zugleich andere unbeleuchtet.
Ein Modell für die Interaktion und Arbeit mit Menschen mit Demenz sieht sich vor diesem Hintergrund vor die Frage nach dem eigenen blinden Fleck und dem bewussten Umgehen damit gestellt, oder positiv formuliert, vor die Frage danach, was es darstellen und sichtbar machen möchte und welcher Art von Begriffen es dafür bedarf.
Mit der Einführung neuer Begriffe, stellt sich somit zugleich auch die Frage, was wir damit erfassen und aussagen, und was wir dabei möglicherweise auch außer Acht lassen werden.
Diese Frage aber ist bei einem praxisbezogenen Modell nicht von der Fragestellung zu trennen, zu welcher Art von Praxis wir in der Interaktion und Arbeit mit Menschen mit Demenz in der Zukunft gelangen wollen.
Ein wahrnehmender und erprobender Ansatz wird vor diesem Hintergrund zugleich auch seine eigene Sprache reflektieren und sie daraufhin betrachten, wo sie uns neue Handlungsräume und Sichtweisen eröffnet oder aber diese im Gegenteil vielleicht auch verschließt.
Literaturhinweise:
Feil, Naomi (2002): Validation. Ein Weg zum Verständnis verwirrter alter Menschen, München
Kitwood, Tom (2004): Demenz. Der person-zentrierte Ansatz zum Umgang mit verwirrten Menschen, Bern
Luhman, Niklas (1987): Archimedes und wir, Berlin
Watzlawick, Paul, Beavin, Janet H., Jackson, Don D. (1982): Menschliche Kommunikation. Bern; Stuttgart; Wien
Watzlawick Paul (2006): Wie wirklich ist die Wirklichkeit, München
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